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Kundenbeziehung und Digitalisierung

Wie die digitale Transformation auch „analoge“ Kundenbeziehungen beeinflusst und verändert

Die Digitalisierung der Geschäftswelt ist in vollem Gange. Auch wenn Ihr B2B Unternehmen keine e-Commerce Komponente beinhaltet und Ihre Geschäftsbeziehungen weitgehend auf persönlichen Kontakten beruhen, kommen Sie am Thema Digitale Transformation nicht vorbei. Unser Partner Dr. Alexander Schubert beleuchtet in seinem Artikel, welche Auswirkungen die allgemeine Digitalisierung auch auf ganz traditionelle Kunden- und Geschäftsbeziehungen hat und warum eine starke, unter den Mitarbeitern verankerte Markenidentität entscheidend ist, um im digitalen Wandel erfolgreich zu sein.

Vor einiger Zeit erregte ein Video auf YouTube Aufsehen, in welchem ein Kleinkind es nicht schafft, die Seiten eines Bilderbuchs umzublättern. Das Buch hat einfach nicht auf die Wischbewegung des Zeigefingers reagiert. Ich selbst ertappe mich auch immer wieder dabei, dass wenn ich länger ein Buch im e-Paper Format gelesen habe und dann zu einem echten Buch greife, ich unwillkürlich Wischbewegungen zum Umblättern mache. Dies ist nur ein Beispiel, wie die digitalen Medien unser Verhalten beeinflussen, unser Seh- und Hörverhalten, Bewegungsabläufe, Erwartungen und Gewohnheiten.

Was das mit Business To Business zu tun hat?

Noch immer sind erstaunlich viele Manager mittelständischer Firmen der Meinung, dass die Digitale Transformation in erster Linie Unternehmen betrifft, die den Massenmarkt bedienen, und die dadurch eine große Skalierbarkeit ihrer Geschäftsprozesse erzielen, während es im B2B-Mittelstand doch eher auf gewachsene, persönliche Beziehungen und den direkten Face-to-Face Kontakt ankommt. Klar, unter der Oberfläche schreitet die Digitalisierung voran, indem man etwa immer mehr Cloud-basierte IT-Anwendungen, z.B. Datenbanken und CRM-Systeme nutzt, aber die „eigentliche“ Geschäftsbeziehung und die Reputation der eigenen Marke sei relativ immun gegen den digitalen Hype.

Dieser Auffassung liegt ein fatales Missverständnis zugrunde. Wie das Beispiel des kleinen Kindes zeigt, sind es gerade auch die alltäglichen, persönlichen, „analogen“ Verhaltensweisen, die durch die Digitalisierung beeinflusst werden. Analysiert man die typischen Kundenbeziehungen im B2B, so findet man einige entscheidende Herausforderungen durch die Digitale Transformation:

  1. Instant-Zugriff auf Information. So sehr gedruckte Hochglanzbroschüren, Produkt- und Ersatzteilkataloge inklusive Preislisten auf Messen und im direkten Kundenkontakt einen gewissen Eindruck schinden (wenn sie denn gut gemacht sind und die Marke gut präsentiert wird), so erwarten echte Profis auf Kundenseite zugleich die unmittelbare und transparente digitale Verfügbarkeit aller Informationen zu jeder Zeit und an jedem Ort. Technologisch stellt dies heute kaum noch ein Problem dar, aber sehr wohl psychologisch. Geht doch damit die permanente Vergleichbarkeit des Angebots einher, und vor allem auch die Deutungshoheit, die auf einmal beim Kunden liegt, der oftmals besser informiert scheint als der Anbieter.
  1. Angebotserstellung in Echtzeit. Viele teuer bezahlte Verkaufs- und Verhandlungstrainings laufen ins Leere, wenn die Angebotserstellung nur noch über Online-Portale erfolgt. Nicht nur beim „Realtime Bidding“, sondern bei jeder Art der Online-Ausschreibung spielen klassische Verkaufs- und Kundenbindungsmaßnahmen wie Freundlichkeit, Körpersprache, Essenseinladungen oder Hospitality Events keine Rolle mehr. Auch hier werden die Bedingungen einseitig durch den Käufer diktiert.
  1. Response Time. Durch die Kultur der sozialen Medien und der führenden e-Commerce Marken (Amazon, Zalando etc.) sind die Kunden an äußerst schnelle Beantwortung ihrer Anfragen gewöhnt. E-Mail-Antworten innerhalb von 48 Stunden, ja selbst von 24 Stunden sind nicht mehr schnell genug, der Kunde erwartet die Antwort sofort. Warum sollte das im B2B Umfeld anders sein? Die führenden Marken geben die Pace vor, die kleineren müssen folgen, und zwar schnell!

Diese Beispiele zeigen, dass der Handlungsdruck, der Wettbewerb und die Kundenanforderungen immer höher werden. Trotzdem stellt die Digitale Transformation die Unternehmen nicht nur vor Probleme. Sie bietet auch große Chancen – für die Marken, die sie positiv annehmen und vorantreiben statt immer nur hinterher zu hecheln.

  1. Das große Paradox der Digitalisierung ist: Es geht nicht nur um Technologie. Im Gegenteil, was zählt ist der menschliche Faktor. Individualisierung, Personalisierung, Interaktion, Kooperation, all dies sind Dinge, die zwar auf Technologie basieren, die aber auf die menschliche (Kunden-) Beziehung abzielen. Unternehmen, die dieses verstehen, können die scheinbar anonymen Algorithmen für Kundenakquise und -bindung nutzen und ihre Marke darauf aufbauen.
  1. Customer Experience (CX). Der Kunde als König, diese alte Phrase wurde oft bemüht und oftmals nicht eingelöst. Durch die Digitale Transformation ist das nicht mehr so einfach. Durch die CX erfährt der Kunde unmittelbar, ob er im Mittelpunkt steht oder nicht. Dazu benötigt Ihr Unternehmen aber Mitarbeiter, die dies verstehen, nicht nur Technik-Nerds, sondern Kunden-Versteher, die im Sinne Ihrer Unternehmens- und Markenwerte handeln.
  1. Community Building. Was bisher durch Messen, Kunden-Events, Roadshows usw. geleistet wurde, lässt sich durch die digitalen und sozialen Medien auf eine neue Stufe heben. Natürlich ersetzt das Internet nicht persönliche Kontakte und Treffen. Während diese sich aber nur einige wenige Male im Jahr realisieren lassen, kann über die digitalen Plattformen die Kunden-Community permanent aktiviert und am Leben gehalten werden. Dazu benötigt man aber auch Menschen, die die Marke pflegen und den entsprechenden relevanten Content produzieren und aktualisieren.
  1. Gemeinsame Wertschöpfung. Die Königsdisziplin der Kundenbeziehung ist die sogenannte „value co-creation“. In der Automobilzulieferindustrie ist diese bereits weit etabliert. Die Zulieferer sind in die Produktions- und Geschäftsprozesse integriert (nicht nur eine Chance, sondern auch ein Risiko, wie man kürzlich am Fall VW gesehen hat). Durch die Digitalisierung lassen sich auf neue Art vernetzte Geschäftsmodelle relativ einfach realisieren. Stellen Sie Ihren Kunden – und sich selbst – eine Plattform zur Verfügung, auf der Sie nicht nur kommunizieren und verkaufen, sondern auch gemeinsame neue Angebote und neuen Mehrwert schaffen können.

Fazit: Die Antwort auf die digitale Herausforderung lautet markenzentrierte Unternehmensführung. Mensch und Marke im Mittelpunkt.

Wer die Digitale Transformation nur als Investition in IT und digitale Plattformen begreift, hat die eigentliche Herausforderung und die großen Chancen darin nicht begriffen. Die Technologie kann nur die digitale Plattform bereitstellen. Die Kundenbeziehung läuft jedoch über die Menschen im Unternehmen, ihre Einstellung und ihre Fokussierung auf den Kunden. Customer Experience bedeutet zu verstehen was den Kunden antreibt, was ihn nachts wach hält, welche Probleme er gelöst haben will, und die Kreativität und Ressourcen, diese Bedürfnisse auch zu erfüllen.

Der mit der Digitalisierung einhergehenden neuen Kundensouveränität muss eine neue Befähigung der Mitarbeiter gegenübergestellt werden. Diese müssen auf allen Ebenen und Kontaktpunkten souverän, d.h. eigenständig antworten und initiativ werden können. Und damit diese Initiativen im Sinne des Unternehmens und seiner Leitbilder sind, bedarf es einer im Unternehmen verankerten Markenidentität, die die Leitplanken für das kommunikative und interaktive Verhalten definiert.

Wenn Sie dies zur Maxime Ihres Unternehmens machen, können Sie sich aus der Masse der austauschbaren Angebote herausheben und sich auch im digitalen Wandel als starke Marke profilieren.

14.09.2016, Dr. Alexander Schubert, Partner brandrelation consulting, Hamburg

Alexander Schubert

Langjährige Erfahrung in Markenführung, Beratung und Kommunikation; Ex-CEO von brand union, branchenübergreifende Expertise in FMCG, Automotive, Finanzdienstleistungen, IT, TK und High Tech; Jury-Mitglied bei iF award und BoB-Award